Ohrum, eine Gemeinde in dem mehr als 100 Orte zählenden Landkreis Wolfenbüttel, ist kürzlich tatsächlich um 600 Jahre gealtert. Der Grund sind Zufallsfunde, die jetzt die Ortsgeschichte verlängert haben. Es waren zunächst ein paar Tonscherben unter einem Ackerpflug. Sie ließen Archäologen neugierig werden, die im Jahre 2000 zwei Öfen zur Bronzeverarbeitung aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus fanden. Schon bevor sich dieser gewaltige Sprung in der Historie auftat, waren die Ohrumer stolz auf ihren Ort. Er ist mit 1259 Jahren der älteste Niedersachsens. Das ist verbrieft in einer Urkunde, die aus dem Jahr 747 stammt. Aus eben diesem Jahr ist eine Geschichte überliefert, in der es um Familienstreit, Machtkampf und Bruder-Hass geht.
Eigentlicher Anlass war das mangelnde sittliche und geistige Vermögen der fränkischen Herrscher. Ihre Nachlässigkeit überließ den Hofbeamten immer mehr Macht. Und so geschah es, dass Majordomus Karl Martell im Jahre 741 seinen Söhnen Karlmann und Pippin die Herrschaft übergab. Hätte er dabei doch seinen Sohn Gripho, der einer Nebenehe entstammte, nur mit einem kleinen Stück Macht bedacht, sähe es heute anders aus mit Ohrums erster Erwähnung im Jahre 747. Gripho konnte mit der Schmach nicht leben, floh nach Sachsen, sammelte ein Heer um sich und setzte sich oberhalb des Flusses Ovacra (Oker) in dem Ort, der Orheim (Ohrum) genannt wird, fest. So heißt es in den Annalen den Regni Francorum. Pippin drang mit dem Heer der Franken durch Thüringen gegen seinen Bruder vor, fiel in Sachsen ein und schlug sein Lager im Ort Scalningi auf, dem heutigen Schöningen.
Die Bewohner des Dorfes in der Samtgemeinde Oderwald gehen mit der vermeintlichen Last der Geschichte gelassen um. Schließlich sind die verfeindeten Brüder Pippin und Gripho nicht das Einzige, was sie zu bieten haben. Da war zum Beispiel Karl der Große. Er, ein Sohn des Pippin, war bestrebt, sich das Reich der Sachsen untertan zu machen. Damit allein war es für den abendländischen Christ nicht getan. Er wollte, dass sich die Heiden zum Christengott bekennen. So kam es, und auch davon zeugen die Chroniken, im Jahr 780 bei Ohrum zur Sachsentaufe.
Die Tatsache, dass der heutige 730-Seelen-Ort überhaupt diesen Platz in der Geschichte hat, kommt nicht von ungefähr. Eigentlicher Grund ist die Okerfurt, die sich im Bereich des heutigen Ortes befunden hat und ein Teil der äußerst wichtigen Handels- und Heerstraße "Deitweg" (auch als Hellweg bekannt) war, der Braunschweig, Magdeburg und Berlin miteinander verband. Hier überquerte die alte Völkerstraße vom Rhein zur Elbe die Oker und hier fanden die bedeutsamen Entscheidungsschlachten zwischen Sachsen und Thüringen statt. In weitere urkundliche Erwähnung trat Ohrum 1022, zur Zeit als Bernward, Bischof von Hildesheim, Ortsherr war. Bis zur Hildesheimer Stiftsfehde im 16. Jahrhundert gehörte der Ort zu Hildesheim, dann vorübergehend zum Herzogtum Braunschweig. All diese historischen Bezüge werden durch das Ohrumer Wappen versinnbildlicht. Es Zeigt mit seinem geraden Längs- und gewellten Querbalken die Kreuzung eines Landweges mit einem Wasserweg - zugleich steht das Kreuz für den ersten urkundlich genannten Ortsherren und die schon 1022 erwähnte Ortskirche. Das Blatt bezeugt einerseits den Überlebenswillen der Gemeinde, andererseits die Zugehörigkeit zur Gemeinde Oderwald. Die Farben, rot und gelb, entsprechen sowohl den Hildesheimer Stiftsfarben als auch dem Braunschweigischen Stammwappen.
Und auch wenn Ohrum durch Zufallsfunde immer älter wurde, stand im Jahr 1997 die bekannte Geschichte im Vordergrund.
Nach einem 1998 aufgestellten Gedenkstein für die im Dorf lebenden Flüchtlinge aus der Grafschaft Glatz in Schlesien wurde der Sachsentaufe gedacht, die man an historischer Stätte, dem "Vaddemloch", mit einem Stein dokumentierte.